Text: Peter B. Heim

Recherche: Schorsch Wiesmaier

 

Heute, also im Jahr 2022, deutet nichts mehr darauf hin, dass hier das Unheil für eine junge Frau seinen Lauf nahm. Wo nämlich vor 80 Jahren das bäuerliche Anwesen stand, da, wo sie zu Hause war, haben jetzt landwirtschaftliche Gebäude Solarzellen auf den Dächern, vor den Häusern parken Autos, auf den umliegenden Wiesen grasen kaum noch Kühe. Geblieben ist eine immer noch friedvolle Landschaft, die von Wiesen und ruhig plätschernden Gewässern geprägt ist,  kleinen waldigen Arealen und den nicht allzu steil ansteigenden Hügeln, die dieses Tal zu zwei Seiten hin umschließen. In dem in einem der damals wie heute verstreut liegenden kleinen Weiler der durchaus stattliche Bauernhof mit 84 Tagwerk Feldern und Wiesengrund lag, also fast 30 Hektar, die im Jahr 1941 von vier Frauen bewirtschaftet wurden. 54 Tagwerk davon dienten dem Anbau von Getreide oder war anderweitig genutztes Ackerland, im Stall standen Kühe.

Vier Kinder hatte der Bauer hinterlassen, deren Mutter 1923 verstorben war, weshalb er sechs Jahre später noch einmal geheiratet und mit ihr, der Stiefmutter, einen Sohn hatte, als er dann im Jahr 1935 selber starb. Nachdem der älteste Sohn „in Russland stand“, wie es die Bäuerin einmal in einem „höflichen Ersuchen“ nannte, ihr leiblicher Sohn noch im schulpflichtigen Alter war, musste die Arbeit auf dem Hof von ihr und den drei Töchtern aus der ersten Ehe des Bauern bewältigt werden. Seit Ende 1940 allerdings unterstützt von zwei französischen Zwangsarbeitern, die in einem nahe gelegenen Lager als Kriegsgefangene interniert worden waren. Einzig zu einem der beiden Betroffenen liegt ein Aktenvermerk vor, wonach vor einem Divisions-Gericht ein Kriegsverfahren gegen ihn eröffnet wurde, wegen Ungehorsams, was noch eine besondere Bedeutung bekommen wird. Hier ist dann auch der Name des Zwangsarbeiters in der wohl zutreffenden Weise geschrieben, wohingegen er in anderem Zusammenhang ausschließlich und ganz offensichtlich nach der Sprechweise geschrieben wurde. Was letztendlich unerheblich und lediglich Indiz für eine ländliche Posse wäre, wenn es sich aus heutiger Sicht bei dem Verfahren gegen Antonia B. nicht um ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit gehandelt hätte, das an einem 13. Mai 1941 seinen Lauf nahm.

An diesem Tag hielt am frühen Morgen ein „Kraftwagen“ vor dem Bauernhof an, zwei Männer stiegen aus, der dritte, durch die Uniform als Gendarm kenntlich, blieb im Auto.

Wie sich aus einem noch am selbigen Tag erstellten Vernehmungs-Protokoll ergibt, waren diese beiden Männer in Zivil Angehörige der SS. Sie forderten die im Haus angetroffene junge Frau, die wir hier Antonia B. nennen wollen, ohne Angabe von Gründen auf, sich fertig zu machen. Allerdings war sie wohl nicht über den frühen Besuch überrascht, sie hatte ihn eher erwartet. Wenig später nahm das Auto also wieder denselben Weg, den es gekommen war, nämlich in den mit einem Pferdefuhrwerk in weniger als einer Stunde erreichbaren größeren Ort mit einem Gendarmerie-Posten.

Antonia B. war die jüngste der drei Schwestern, in einem Protokoll wurde festgehalten, dass sie „die Volksschule mit durchschnittlichem Erfolg besucht und dann auf dem elterlichen Hof mitgearbeitet“ habe. Und dass sie und ihre Familie „einen sehr guten Ruf“ genießen und „als eine der besten Bauernfamilien der Umgebung“ gelten würden. Außerdem wurde protokolliert, dass die 23-Jährige mit einem Bauerssohn aus der Umgebung befreundet sei, den sie auch heiraten wolle. Allerdings habe sie mit diesem noch keinen Geschlechtsverkehr gehabt, „weil ihr Freund ihre Jungfrauenschaft erhalten wollte“.  Bescheinigt wird ihr außerdem in diesem Schriftstück, dass sie „sehr schüchtern und verschlossen“ sei.

Und wie es auch in den zahlreichen anderen Unterlagen festgehalten ist, die Grundlage für diese Schilderung sind: Antonia B. wird des „Verkehrs mit Kriegsgefangenen“ beschuldigt. Sie hatte sich selber einer der älteren Schwestern anvertraut, die daraufhin wohl auch die Stiefmutter informiert hatte. Jedenfalls war die Schwester in einem der Nebenlager des nicht weit entfernten Gefangenenlagers aufgetaucht und hatte laut einer Niederschrift dort einem Soldaten erklärt, „dass der Gefangene XY nicht mehr zur Arbeit kommen brauche, weil ihre Schwester (…) von dem Franzosen in anderen Umständen sei“. Woraufhin ein Gefreiter am frühen Morgen des 13. Mai bei der Bäuerin erschienen wäre, die ihm ihrerseits bestätigte, dass Antonia B. ihrer Schwester „gegenüber zugegeben habe, dass sie von dem Gefangenen schwanger sei“. Und zwar bereits seit vier bis fünf Monaten. Was die Beschuldigte dann auch später in der Gendarmerie bestätigen würde.

Doch bevor es zu einer ersten Befragung kam, waren die beiden SS-Männer erst einmal zu einem Friseurgeschäft gefahren und hatten von der dort vorgefundenen jungen Gehilfin gefordert, Antonia B. den Kopf kahl zu scheren, ganz wie es Heinrich Himmler angeordnet hatte. Und auch der Gendarm verhielt sich ganz in Himmlers Sinne, er schritt natürlich nicht ein. Mut bewies hingegen die junge Gehilfin. Sie weigerte sich standhaft, zur Schere zu greifen. Woraufhin, wie auch in der Niederschrift einer sehr viel späteren Vernehmung von Antonia B. zu lesen ist, einer der SS-Männer einen männlichen Friseurgehilfen aus einem anderen Geschäft in der Nähe geholt habe, der wohl kein Problem damit hatte, dieser jungen Frau den Kopf kahl zu scheren. Anschließend sei ihr dann noch ein Schild umgehängt und sie von den zwei SS-Männern zur Polizeistation geführt worden. Ganz offensichtlich unter Beachtung und „Anteilnahme“ einer Bevölkerung mit gesundem Volksempfinden.

Das sich vermutlich durchaus massenhaft und engagiert ausgedrückt haben dürfte, denn schließlich war laut diverser Aussagen von direkt Beteiligten nicht nur der Bürgermeister von den Vorkommnissen unterrichtet worden, sondern auch Gemeinderäte und Angestellte der Gemeinde hatten Kenntnis und sorgten wohl für Verbreitung der Nachricht. Es ist also mehr als wahrscheinlich, dass eine durchaus ansehnliche Menge die Straße säumte, als die beiden SS-Männer mit Antonia B. mit kahl geschorenem Kopf und dem Schild um den Hals zwischen sich vom Friseurladen an diesem 13. Mai zur Polizeistation liefen. Was auf dem Schild stand, das wird in den vorliegenden Unterlagen nicht erwähnt, von anderen, ähnlich oder gleich gelagerten Fällen weiß man jedoch, dass die Opfer zumeist als „aus der Volksgemeinschaft ausgestoßen“ gebrandmarkt wurden. In manchen Fällen war allerdings auch von „Flittchen“ oder „Huren“ die Rede, und dies insbesondere, wenn das „Verbrechen“ den Umgang mit polnischen oder russischen Zwangsarbeitern respektive Kriegsgefangenen betraf.

Nachdem Antonia B. den Spießrutenlauf hinter sich gebracht hatte, wurde sie nun endlich im Dienstzimmer des Gendarmerie-Postens von einem Polizisten vernommen. Und von dieser Vernehmung existiert eine Niederschrift, die zumindest vermuten lässt, dass sie annähernd wiedergibt, was Antonia B. „zur Sache“ gesagt hat, die vermerkten Auslassungen dienen vor allem dem Schutz der beteiligten Personen:

„Im Juli 1940 bekamen wir auf unserem etwa 100 Tagwerk grossen Hof (…) 2 Kriegsgefangene. (…) Ab Dezember 1940 machte sich (…) wiederholt an mich heran. Wenn ich allein im Stadel beschäftigt war, ist er zu mir gekommen. Anfangs Dezember 1940 an einem mir nicht mehr bekannten Werktag war ich im Stadel und arbeitete. Er kam, wie vorher dies schon öfters der Fall war, zu mir und wollte mit mir den Geschlechtsverkehr ausüben. Ich wehrte mich, wie wiederholt vorher. (…) brachte es aber fertig, dass ich mich mit ihm eingelassen habe.

(…)

Der Grund zu meiner Verfehlung war, dass ich mit (…) alles arbeiten musste. Wir waren eben viel beieinander und (…) quälte mich oft solange bis ich mich wieder mit ihm eingelassen habe. (…) Ich muss die meiste Schuld dem Franzosen zuschieben. Ich habe mich oft gewehrt dagegen. Weiter bin ich ihm oft davongelaufen. Warum ich nicht geschrieen habe, kann ich nicht sagen. Ich wollte halt verhindern, dass meine Angehörigen davon etwas erfahren. Von mir sind noch 2 Schwestern im Alter von 24 und 26 Jahren auf dem Hof. Diese hat der Gef. nicht soweit gebracht. Mich fragte (…) wiederholt, ob er mit meinen Schwestern nichts machen könne. Ich sagte zu ihm, er solle sie doch in Ruhe lassen, was er auch tat. Seit anfangs Februar war ausser einem feiertagsschulpflichtigen Bruder keine Mannsperson auf dem Hofe. Schon aus diesem Grund konnte der Gef. alles machen, weil ich die Männerarbeit mit ihm verrichtete.“

Einmal davon abgesehen, dass die unterschiedlichen Formulierungen darauf schließen lassen, wann es eher der Schriftführer und wann es Antonia B. war, die sprach, manches geschilderte Detail ist wohl vorrangig auf die übergriffige „Neugier“ des Protokollierenden zurückzuführen, und weniger dem Mitteilungsbedürfnis der jungen Frau. Nicht verborgen bleibt allerdings auch, wie misslich diese die Situation empfunden haben wird. Wer schon einmal auf dem Land in dörflicher Gemeinschaft gelebt hat, die oder der kann sich vorstellen, was diese ganze Prozedur, dieses öffentlich machen, für die noch nicht einmal ganz 23-Jährige bedeutet hat.  Und wenn man noch berücksichtigt, dass man das Jahr 1941 schrieb, dürfte mehr als deutlich sein, in welcher Verfassung Antonia B. an diesem Tag gewesen sein muss. Eine ungewisse Zukunft vor Augen und vermutlich stets mit der bohrenden Frage im Kopf: Was wird die Familie sagen? Was werden die Nachbarn sagen?

Doch Antworten darauf gaben erst einmal andere. Denn nach dieser ersten Vernehmung wurde Antonia B. zunächst einem örtlichen Ermittlungsrichter vorgeführt, für eine „Beschuldigten-Vernehmung“, die selbstverständlich protokolliert wurde. „Zur Sache“ sagte sie demgemäß aus, dass ein Kriegsgefangener auf dem Hof beschäftigt gewesen wäre, von dem sie sich habe „bereden lassen“, weshalb es zum Geschlechtsverkehr gekommen sei, „von anfangs Dezember 1940 bis ende März 1941 in der Woche mehrmals, im ganzen etwa 20 – 25 mal“. Und dass sie von diesem seit den Weihnachtsfeiertagen „in der Hoffnung“ sei und er gewollt habe, dass sie das Kind abtreibe. Er habe gesagt, „ich solle irgendwo hinfahren, wo mir das Kind genommen werde, er empfahl mir, die Füsse mit Salzwasser zu waschen. Er ist verheiratet. Ich habe mich aber auf nichts eingelassen“.

Laut diesem Protokoll wird der künftigen Mutter, die sich auf nichts eingelassen hat, was das Kind betraf, um 14 Uhr 40 eröffnet, dass gegen sie Haftbefehl erlassen werde, weil sie eines „Verbrechens gegen $ 4 der VO. zum Schutze der Wehrkraft des deutschen Volkes vom 25.11.39 (RGBl. I 2319) und VO. über den Umgang mit Kriegsgefangenen vom 11.7.40 (RGBl. I S. 769) (Verkehr mit Kriegsgefangenen) dringend verdächtig sei“. Außerdem bestehe Fluchtgefahr, weil ein Verbrechen vorliege. Gleichzeitig wurde offensichtlich die Einweisung in ein etwa 15 Kilometer entferntes Amtsgerichtsgefängnis verfügt, welche noch am gleichen Nachmittag erfolgte. Immerhin wurde der Verhafteten die Möglichkeit eröffnet, mit einem Kraftfahrzeug ins Gefängnis gebracht zu werden, um ihr so auch weiteres „Verspotten“ durch Passanten zu ersparen. Was sie annahm mit der verlangten Zusicherung, dass die daraus entstehenden Kosten von ihr übernommen werden würden.

Die Anklageschrift ließ nicht lange auf sich warten, bereits zehn Tage später ging sie bei einem Sondergericht ein, und sie lautete natürlich auf fortgesetzten Umgang mit einem Kriegsgefangenen „in einer Weise (…), die das gesunde Volksempfinden gröblich verletzt“. Und weitere 11 Tage später wurde ein „Im Namen des Deutschen Volkes“ gefälltes Urteil rechtskräftig: Antonia B. wurde zu einer „Zuchthausstrafe von einem Jahr sechs Monaten ab zwei Wochen Untersuchungshaft sowie zur Tragung der Kosten verurteilt“. Die bürgerlichen Ehrenrechte wurden ihr für die Dauer von zwei Jahren aberkannt. Und selbstverständlich wurde auch in der Urteilsbegründung nicht darauf verzichtet, erneut auf darauf zu verweisen, wie der Geschlechtsverkehr stattgefunden hatte. Wirklich interessant und aufschlussreicher ist allerdings der abschließende Teil der Urteilsbegründung, wo es unter anderem heißt:

„Bei der Bemessung der Dauer dieser Strafe war die Dauer des Verkehrs der Angeklagten mit dem Gefangenen erschwerend zu berücksichtigen, wie auch die erhebliche Anzahl von Fällen, in denen es zum Geschlechtsverkehr kam. Andererseits ist die Angeklagte aber sonst ein sehr tüchtiges und fleissiges Mädchen, das in sehr gutem Rufe steht. Sie lebt zurückgezogen auf einem abgelegenen Hof (…), ist etwas weltfremd und hat die Verwerflichkeit ihrer Tat wohl nicht in ganzem Umfang erkannt. Durch das ständige Zusammensein mit dem Kriegsgefangenen während der gemeinsamen Arbeit war sie den Verführungskünsten des Gefangenen besonders ausgesetzt, während andererseits der Gefangene seinerseits zweifellos besonders dringlich vorgegangen ist, da auf dem Hof ausser dem jungen Stiefbruder der Angeklagten keine deutsche Mannsperson anwesend war. Schliesslich ist die Angeklagte auch in einem geschlechtsreifen Alter gewesen, ohne aber bei ihrem Freund geschlechtliche Befriedigung zu finden.

Unter diesen Umständen erschien trotz des erheblichen Umfanges der Straftat eine Zuchthausstrafe von 1 Jahr 6 Monaten als ausreichende Sühne. Die Angeklagte hat durch ihre Tat eine ehrlose Gesinnung als deutsche Frau an den Tag gelegt, was es rechtfertigte, ihr die bürgerlichen Ehrenrechte auf die Dauer von 2 Jahren abzuerkennen. Angesichts ihres Geständnisses war es billig, ihr 2 Wochen der Untersuchungshaft auf die Zuchthausstrafe anzurechnen. Die Entscheidung im Kostenpunkt beruht auf §§ 464 ff StPO.“

Sieht man einmal von der allen Klischees gerecht werdenden Vorstellung hinsichtlich der unterstellten „Verführungskünste“ des französischen Zwangsarbeiters ab, so wurden Urteil und Strafmaß vor allem damit begründet, dass es zweifellos der falsche Mann war, mit dem sie intim war, weil kein Deutscher. Keine Rolle spielte jedenfalls die Schwangerschaft, wohingegen Fleiß und Tüchtigkeit durchaus als entlastende Aspekte gesehen wurden, wie wohl auch die Weltfremdheit. Und vor allem änderten sie nichts daran, dass Antonia B. nach einem kurzzeitigen Aufenthalt im Gefängnis am Standort  des Sondergerichts in eine weiter entfernte „Gefangenenanstalt“ verlegt wurde, wo sie vermutlich bis etwa Oktober 1941 inhaftiert war. Vom 22. des Monats liegt nämlich die Nachricht einer anderen, speziell für Frauen ausgelegten Strafanstalt an die Strafvollzugsabteilung der Staatsanwaltschaft vor. Darin wird mitgeteilt, dass Antonia B. „morgens 0.15 Uhr, auf Veranlassung des Anstaltsarztes mit dem Sanitätsauto in das Entbindungsheim“ verbracht worden sei, weil „eine operative Schnittentbindung“ in Frage käme. Was vermuten lässt, dass zumindest die Schwangerschaft unbeschadet der Haftbedingungen gut verlaufen sein könnte: Wenn Antonia B. zurück in die Haftanstalt verlegt wird, ist sie Mutter einer Tochter geworden. Was nicht unbedingt als selbstverständlich angesehen werden kann. Schließlich wurden in der NS-Zeit in dieser Strafanstalt auch Zwangssterilisationen vorgenommen, insbesondere in späteren Jahren wurden Frauen von dort in Konzentrationslager deportiert. Die Insassinnen konnten also nicht sicher sein, körperlich unbeschadet das Ende ihrer Haftstrafen zu erreichen.

Bemühungen des Anwalts der Inhaftierten im Mai 1942, wenigstens nach Verbüßen von zwei Drittel der „Zuchthausstrafe“ einen bedingten Straferlass für die junge Mutter zu erreichen, blieben ergebnislos. Weder ein Schreiben des zuständigen Bürgermeisters, wonach die Bauerstochter Antonia B. auf dem heimischen Hof dringendst als Arbeitskraft benötigt würde, noch ein Brief der Stiefmutter mit gleichem Inhalt, konnten daran etwas ändern. Mit Beschluss vom 3. Juni 1942 lehnte der zuständige Oberstaatsanwalt einer „Gnadenbehörde“ das Gesuch auf „bed. Erlaß des Restes“ mit der Begründung ab: Verfrüht! Und auch die darauf folgende Beschwerde durch den Rechtsanwalt änderte daran nichts. Zumindest verdankt man diesem Schreiben die Erkenntnis, dass Antonia B. inzwischen in eine andere Strafanstalt verlegt worden war. Während ein Schreiben vom August des Jahres und offensichtlich die Reaktion auf die Beschwerde, über die Sichtweise des Vorstands dieser Strafanstalt unterrichtet. Dort heißt es: „Wenn sich auch die Verurteilte bisher tadelfrei geführt hat, stets anständig, fleissig und folgsam war, so verdient sie doch bei der Art der Tat keinen Gnadenerweis. Restlosen Strafvollzug halte ich aus Gründen der Abschreckung für geboten.“

Das ist eine unmissverständliche Aussage, wohingegen dann ein weiterer Beschluss, insbesondere hinsichtlich der Datierung, Fragen aufwirft. Denn mit diesem Beschluss ist unter dem zutreffenden Aktenzeichen festgelegt, dass die gegen sie „erkannte(n) Strafe mit Ablauf der Bewährungsfrist erlassen“ wäre. Allerdings ist dieses amtlich Schreiben der schon oben erwähnten Gnadenbehörde auf den 4. März 1946 datiert. Wohingegen mit einer „Mitteilung des Abgangs eines Gefangenen oder Verwahrten“ eine Entlassung mit der Auflage einer Bewährungsfrist bis 1.9.45 bereits am 15. August 1942 bestätigt wurde.

Es lässt sich also nur vermuten und das betreffende Schreiben dahingehend interpretieren, dass das „Erlassen“ der Strafe auf einer Überprüfung des Gerichtsverfahrens nach Kriegsende basierte, das im Kern zwar nicht beanstandet wurde, sondern nur mit dieser großzügigen Geste, die Strafe, nachdem sie verbüßt worden war, zu erlassen, endgültig zu den Akten gelegt wurde. Was für Antonia B. keinerlei Bedeutung gehabt haben dürfte. Denn auch dieses amtliche Schreiben konnte nichts daran ändern, dass sie nach ihrem „Abgang“ aus der Haftanstalt als Stigmatisierte auf den elterlichen Bauernhof zurückkehrte.

Ist doch nicht davon auszugehen, dass mit der Kapitulation der deutschen Streitkräfte am 8. Mai 1945 auch die Sichtweisen und Überzeugungen der Menschen im vormaligen Dritten Reich kapituliert hätten, von heute auf morgen die Gesinnung eine elementare Wende genommen hätte. Und schon gar nicht in einer ländlichen und katholisch geprägten Region, wo vielleicht nach Kriegsende die Tatsache, mit einem französischen Zwangsarbeiter respektive Kriegsgefangenen, also einem einstigen Feind, intim gewesen zu sein, für eine junge Frau weniger schwer wog als die Schande eines unehelichen Kindes. Von dem man allerdings nicht weiß, ob es mit der Mutter auf den Hof zurückkehrte.

Aus dem vorhandenen Material ist lediglich zu entnehmen, dass sich im März 1942 das Kreisjugendamt der zuständigen Kreisstadt im Rahmen der Amtsvormundschaft um „kurzfristige Überlassung“ der Strafakte bemühte. Und falls nicht möglich, zumindest „um Angabe des Namens und Aufenthaltes des als Beihälter benannten Franzosen“. Und hier ist der Namen des Kindes, eines Mädchens, genannt. Doch es gibt keinen Hinweis, ob es gerade in einem Heim lebt oder es zu diesem Zeitpunkt zumindest beabsichtigt ist, Mutter und Kind nach der bevorstehenden Entlassung wieder zu vereinen. Weder gibt es Belege, wie mit den Kindern von Frauen in der Haftanstalt, in der Antonia B. ihre Reststrafe verbüßte, verfahren wurde, noch ist diesbezüglich etwas aus dem zeitlich letzten existierenden Dokument in dieser Causa zu erfahren. Es handelt sich hierbei um die Abschrift einer Vernehmung, aus der zumindest ersichtlich ist, dass die Mutter, die von einem Kriegsgefangenen schwanger geworden war, ganz offensichtlich geheiratet hat, sie trägt einen neuen Namen. Und schildert bei dieser Vernehmung noch einmal die Ereignisse aus dem Jahr 1941 und insbesondere, was am Tag ihrer Verhaftung im Friseurgeschäft passiert ist. Was der bekannten Aktenlage entspricht.

Neu hingegen ist der Vorwurf, dass während der Vernehmung der Bürgermeister des Ortes in die Polizeistation gekommen sei und verlangt hätte, „daß ich nochmals auf den Marktplatz geführt werden müsse; damit mich die Leute nochmals ausspotten würden“. Wozu es aber durch Einspruch der beteiligten „Gendarme“ und eines anwesenden Amtsrichters nicht gekommen sei. Ein Vorwurf, der auch Gegenstand bei einer Spruchkammer-Verhandlung im Rahmen der sogenannten Entnazifizierung gewesen war. Denn es existieren Teile eines allerdings nicht datierten Protokolls als Abschrift, die den Schluss zulassen, dass besagter Bürgermeister vor Gericht stand und dort alle Vorwürfe zurückwies. Er antwortete laut dieser Abschrift auf die Frage des Vorsitzenden, ob er es auf seinen Eid nehme, dass er mit dem Fall nichts zu tun habe: „Ich habe lediglich diese Angelegenheit der Gendarmerie übergeben, das kann ich auf meinen Eid nehmen. Wenn die Schwester dieses Mädchens den Mund gehalten und es nicht gemeldet hätte, wäre das in der Familie geblieben und die Sache garnicht ins Rollen gekommen.“

Und auf die entsprechende Nachfrage eines „Öffentlichen Klägers“ fügt der Bürgermeister hinzu: „Ja, auch habe ich keinen Auftrag erteilt, dieses Täfelchen für das Mädchen zur Firma XXX zu bringen und es ihr (…) umzuhängen.“  Wie auch weitere Auslassungen allgemeinerer Natur ihm in erster Linie dazu dienten, sich eher als in allen Belangen unschuldig darzustellen und damit einer sehr weit verbreiteten Verhaltensweise im Nachkriegsdeutschland folgte. Nicht nur, dass Antonia B. im Dritten Reich mit nicht überall geübter Härte gestraft worden, andernorts in Fällen des „Verkehrs mit Kriegsgefangenen“ durchaus auch Bewährungsstrafen verhängt wurden. Auch als der größte Teil Deutschlands zu westlichen Besatzungszonen geworden war und die jüngste nationalsozialistische Vergangenheit durch die sogenannte „Entnazifizierung“ verarbeitet werden sollte, also bis 1949, sahen Gerichte kaum Anlass, im einstigen Dritten Reich gefällte Unrechtsurteile zu revidieren oder in diesem Zusammenhang geschehenes Unrecht zu verfolgen.

Erst im Jahr 1998, also nach der sogenannten Wiedervereinigung der aus den einstigen Besatzungszonen entstandenen beiden deutschen Staaten, wurde ein „Gesetz zur Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile in der Strafrechtspflege und von Sterilisationsentscheidungen der ehemaligen Erbgesundheitsgerichte“ verabschiedet. Darunter die „Verordnung zur Ergänzung der Strafvorschriften zum Schutz der Wehrkraft des deutschen Volkes vom 25. November 1939 (RGBl. I S. 2319)“. Für die zu diesem Zeitpunkt 80-jährige Antonia B. dürfte das, falls sie es noch erlebt haben sollte, nur ein schwacher Trost gewesen sein. Weshalb nur die Bewunderung für ihren Mut und ihre Entscheidung bleibt, dorthin zurückzukehren, wo auch ihre Peiniger lebten, natürlich immer noch als ehrbare Bürger.

 
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