Die Ausgangslage: Am 31. August 1939 überfallen auf Befehl Adolf Hitlers SS-Angehörige als polnische Widerstandskämpfer verkleidet den Sender Gleiwitz im damaligen Schlesien, es wird auf Polnisch eine fingierte Kriegserklärung Polens an das Deutsche Reich ausgestrahlt. Die dann auch als Rechtfertigung propagiert wurde für den Angriff der Deutschen Wehrmacht am folgenden Tag um 4 Uhr 45  auf Polen, für den annähernd drei Millionen deutsche Soldaten bereit standen. Es war der Beginn des Zweiten Weltkrieges, dem in der ersten Phase Angriffe der Deutschen Wehrmacht auf Dänemark und Norwegen, die Benelux-Länder und Frankreich sowie militärische Operationen in Nordafrika und auf dem Balkan folgten. Als Beginn einer zweiten Phase gilt der Überfall auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941.

Recherchen des Historikers Rüdiger Overmans ergaben, dass im Zweiten Weltkrieg unter Einbeziehung der Waffen-SS circa 18 Millionen Deutsche zur Wehrmacht respektive für Kampfhandlungen eingezogen wurden, Männer und Frauen, die in den Fabriken, Ämtern, auf Bauerhöfen oder auch in Krankenhäusern fehlten. So sollen ein Jahr vor Kriegsende mehr als ein Viertel der im Deutschen Reich Beschäftigten Nicht-Deutsche gewesen sein, zum allergrößten Teil Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter oder KZ-Häftlinge, die ebenfalls zur Zwangsarbeit genötigt wurden.

In der Landwirtschaft soll ihr Anteil 46 Prozent betragen haben, in der Industrie fast 40 Prozent. Und auch in  deutschen Haushalten verzichtete man ungern auf Unterstützung, hier wurden in mehr als 200.000 Haushalten vor allem russische und polnische Frauen zu Arbeiten gezwungen. Die zumeist, wie auch die männlichen Leidensgenossen, in einem der circa 20.000 Barackenlager gefangen gehalten wurden. Unter hygienischen Zuständen und mit einer mangelhaften Ernährung, die – durchaus gezielt – für hohe Todesraten sorgten. Es gleichzeitig aber manchen sogenannten einfachen Leuten ermöglichte, im wahrsten Sinne der Redewendung „für ein Butterbrot“ Haushaltshilfen zu beschäftigen, da sich so insbesondere Zwangsarbeiterinnen die kargen Rationen etwas aufbessern konnten. 

Es kann also davon ausgegangen werden, dass ohne Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter die deutsche Wirtschaft ebenso kollabiert hätte wie das gesamte öffentliche Leben. Allerdings basierte Zwangsarbeit nicht nur auf wirtschaftlichen Notwendigkeiten. Im Dritten Reich war sie auch Instrument auf dem Weg zu einer rassistischen nationalsozialistischen Gesellschaftsordnung, in der ausgegrenzt und verfolgt wurde, wer gemäß NS-Rassenideologie als „Untermensch“ bezeichnet wurde. Also vor allem Juden, Sinti und Roma und Menschen aus slawischen Ländern wie der Sowjetunion oder Polen. Und das durchaus auch mit dem Ziel der physischen Vernichtung.

Was hingegen für Zwangsarbeiter aus von der Deutschen Wehrmacht besetzten westlichen Ländern wie Holland, Belgien oder Frankreich nicht unbedingt galt.

So waren im Dritten Reich zwar von den circa 1,6 Millionen französischen Kriegsgefangenen bei Kriegsende ungefähr eine Million als Zwangsarbeiter in Industrie, Handel oder Landwirtschaft eingesetzt worden, sie wurden aber ab 1943 eher verharmlosend als „Zivilarbeiter“ geführt. Allerdings nicht nur, weil sich das etwas freundlicher anhörte, sondern auch, um damit für den Rest der Welt zumindest verbal weniger massiv gegen Völkerrecht zu verstoßen. Letztendlich war es eine bevorzugte Etikettierung für Franzosen, um außenpolitisch gewisse Rücksichten auf eine ja weitestgehend kooperierende Vichy-Regierung zu nehmen. Was sich aber durchaus auch auf deren Lebensbedingungen auswirkte.

Wohingegen vor allem in Konzentrationslagern gefangen gehaltene Menschen oder polnische und russische Kriegsgefangene oder Zivilisten unter unmenschlichen Zuständen zur Zwangsarbeit gezwungen wurden. Insgesamt mehr als 20 Millionen Menschen sind in den Jahren der nationalsozialistischen Herrschaft in Deutschland und besetzten Gebieten als Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter ausgebeutet worden, zumeist so „entlohnt“, dass es ausreichte, um damit die hohen Steuern auf Lohn und Abgaben für „Kost und Logis“ und andere anfallende „Kosten“ zu begleichen. Außerdem war der Großteil von ihnen einer „Leistungsernährung“ ausgesetzt, was nichts anderes bedeutete, als dass die Lebensmittelrationen nach der Arbeitsleistung bemessen wurden. Mit ein Grund dafür, dass Millionen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter das Kriegsende nicht erlebten. Die Überlebenden hingegen mussten nach 1945 noch mehr als ein halbes Jahrhundert warten, bis sich der Nachfolge-Staat, die wiedervereinte Bundesrepublik Deutschland, in der Verpflichtung sah, die dann noch lebenden 1,7 Millionen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter mit rund 4,7 Milliarden Euro zu „entschädigen“.

Keinerlei Entschädigung, sondern im günstigsten Falle nur eine Aufhebung der Gerichtsurteile „bekamen“ hingegen Menschen, die sich im Dritten Reich im Zusammenhang mit Zwangsarbeit eines ganz besonderen Verbrechens schuldig gemacht hatten. Da bei deutschen Männern fast ausschließlich und großzügig darüber hinweggesehen wurde, wenn sie Zwangsarbeiterinnen missbrauchten, vergewaltigten oder es sogar einmal zu einvernehmlichen sexuellen Handlungen gekommen war, verwundert es nicht, dass die gesetzliche Grundlage in erster Linie auf deutsche Frauen zielte, die ein Verbot des gesellschaftlichen und sexuellen Kontaktes und Umgangs mit männlichen Zwangsarbeitern missachtet hatten.

Die „Verordnung zur Ergänzung der Strafvorschriften zum Schutz der Wehrkraft des Deutschen Volkes“ (RGBI. I, S. 2319) vom 25. November 1939 war die Grundlage, „Wehrmittelbeschädigung“, „Störung eines wichtigen Betriebes“, die „Teilnahme an wehrfeindlichen Aktivitäten“ oder die „Gefährdung der Streitkräfte befreundeter Staaten“ mit hohen Strafen zu ahnden. Und dann gab es da noch den § 4 Absatz 1 dieser Verordnung, der für deutsche Staatsangehörige den Straftatbestand des „verbotenen Umgangs“ mit Kriegsgefangenen und infolgedessen auch potentiell mit Zwangsarbeitern festlegte. Hier hieß es: „Wer vorsätzlich gegen eine zur Regelung des Umgangs mit Kriegsgefangenen erlassene Vorschrift verstößt oder sonst mit einem Kriegsgefangenen in einer Weise Umgang pflegt, die das gesunde Volksempfinden gröblich verletzt, wird mit Gefängnis, in schweren Fällen mit Zuchthaus bestraft.“

Ergänzt wurde dies mit einer „Verordnung über den Umgang mit Kriegsgefangenen (RGBI. I, S. 769) vom 11. Mai 1940, die festlegte, dass jeglicher Umgang mit Kriegsgefangenen und jegliche Beziehung zu diesen verboten war. Ausgenommen, wenn dieser „Umgang“ durch ein Arbeitsverhältnis notwendig war.  Und zuvor hatte schon Anfang des gleichen Jahres Heinrich Himmler, zu diesem Zeitpunkt Reichsführer SS, Chef der deutschen Polizei und Reichskommissar für die Festigung deutschen Volkstums, mit einem internen Schreiben und die Justiz außen vor lassend die ihm unterstehenden Dienststellen angewiesen, die zuwiderhandelnden deutschen Frauen „bis auf weiteres in Schutzhaft zu nehmen und für mindestens ein Jahr einem Konzentrationslager zuzuführen“. Außerdem sei bereits der gesellschaftliche Verkehr eine „gröbliche Verletzung des gesunden Volksempfindens“, also beispielsweise das Zusammentreffen bei einer Tanzveranstaltung oder ähnlichen Gelegenheiten.

Und auch was das diesbezügliche Vorgehen seitens SS oder Polizei betraf, machte Himmler Vorgaben. So sollte keineswegs polizeilich verhindert werden, dass Frauen, die das kranke „gesunde Volksempfinden“ verletzt hatten, öffentlich angeprangert und ihnen deshalb der Kopf kahl geschoren wurde. Eine Anweisung, die einige Monate später dahingehend abgeändert wurde, dass diese Frauen nun doch erst einmal einem Gericht zu überstellen wären. Schutzhaft und die Verschleppung in ein Konzentrationslager war jetzt nur noch für den eher unwahrscheinlichen Fall vorgesehen, dass ein Gericht einen Haftbefehl ablehnen oder aufheben würde.

Diese Anweisung zeigte Wirkung: im ganzen Jahr 1940 wurden mehr als 4.000 derartige „Straftaten“ verzeichnet, alleine in den ersten sechs Monaten des Jahres 1943 wurde das „Volksempfinden“ an die 6.000 Mal verletzt. Zumeist durch Denunziation zur Anzeige gebracht. Was sich daraus für die so beschuldigten Frauen über die Gerichtsurteile hinaus an Demütigungen und familiären und gesellschaftlichen Konsequenzen ergab, ist allerdings bis in unsere Tage kaum Gegenstand von Erinnerungskultur und Aufarbeitung. So kamen und kommen Frauen, die im Dritten Reich wegen „Umgangs“ mit Zwangsarbeitern angeklagt und verurteilt wurden, kaum in der öffentlichen oder wissenschaftlichen Diskussion über das Dritte Reich vor. Verweise auf deren Schicksale sucht man fast immer vergebens in der einschlägigen Literatur. Dem soll hiermit entgegengearbeitet werden.

 

Peter B. Heim

 
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