Was Frau Simmerl über Josef Martin Bauer (JMB) schreibt, entspricht dem, was in Dorfen die letzten Jahrzehnte hinweg über den Autor verbreitet wurde, auch in der Ausstellung über die NS-Zeit in Dorfen („Ein Dichter im Würgegriff“), und was u.a. zu seinen vielen Ehrungen und auch auch zu einer Straßenbenennung nach ihm führte bzw. diese nicht verhinderte. Woher kommen diese Geschichten? Sie sind nicht erfunden, sie basieren auf den Aussagen Bauers vor dem Spruchkammergericht. (Vor Spruchkammergerichten mussten sich nach der Befreiung 1945 NS-Belastete verantworten.) Das Problem ist, die  Rechtfertigungen des Autors dort entsprechen nicht den Tatsachen.

Das ist nicht nur bei JMB so. Der Schriftsteller Ralph Giordano hat dazu geschrieben: „Die Entnazifizierung produzierte die scham- und hemmungsloseste Massenlüge, die es je in der deutschen Geschichte gegeben hat.“

Dass JMB vor 1933 Mitglied der Bayerischen Volkspartei war und im März 1933 in eine Auseinandersetzung mit der örtlichen NSDAP geriet, habe ich in meinem Aufsatz im „Mühlrad“ ausführlich beschrieben, auch deswegen, weil es sich dabei um den einzigen nachweisbaren Konflikt JMB mit dem NS-Regime zwischen 1933 und 1945 handelte. Die Gendarmerie in Dorfen beschrieb seine Entwicklung danach so: Er „hat sich sofort nach der Machtergreifung ... umgestellt und heute (1936) ist an seiner politischen Zuverlässigkeit nicht mehr zu zweifeln.“

Schon Ende 1933 freute sich Bauer über eine Würdigung im Völkischen Beobachter (VB), der ihm bestätigte, „Gedankengut in die Volksseele hineingetragen (zu haben), um Verständnis für das Erneuerungswerk Adolf Hitlers zu schaffen.“

Dass er 1937 gezwungen worden sei, in die NSDAP einzutreten, dafür gibt es keinen einzigen Beleg, nur seine eigene Behauptung.

Tatsächlich war es gar nicht so einfach, 1937 in die Partei aufgenommen zu werden. Es gab nämlich eine Mitgliedersperre. Sie wurde nur gelockert für „diejenigen Volksgenossen, die durch ihre nationalsozialistische Haltung und Betätigung ...sich eine Anwartschaft auf Aufnahme in die NSDAP erworben haben.“ 

Dass JMB, wie Frau Simmerl schreibt, „sich zum Militär meldete, um dem politischen Druck auszuweichen“, widerspricht dem tatsächlichen Vorgang, entspricht aber beinahe wörtlich der Aussage Bauers im Spruchkammerverfahren. „Die Soldaten (waren) der einzige anständige Haufen, bei denen man noch ein Mann und ein  Mensch sein durfte“, führte Bauer dort aus.

Nur: Er wollte weder eingezogen werden, noch einfach Soldat sein.

Beides lässt sich anhand von Dokumenten aus dem Bundesarchiv in Berlin belegen. „Mein Mann fühlt sich so gar nicht wohl als Soldat III. Klasse“, so seine Frau in einem Schreiben an Bauers Verleger. Er wollte als Schriftsteller unbedingt in eine Propagandakompanie. Um dies zu erreichen, wandte er sich an das Propagandaministerium, empört reagierte er auf einen ersten ablehnenden Bescheid und erreichte schließlich doch noch sein Ziel, in eine NS-Propagandakompanie aufgenommen zu werden. Als NS-Propagandist schrieb er dann u.a. vier Kriegstagebücher.

JMB behauptete auch, den mit 10 000 RM dotierten Preis für das „Bäuerliche Schrifttum“ habe er „trotz Einspruchs des Propagandaministers“ erhalten. Goebbels stimmte der Preisverleihung an Bauer aber ausdrücklich zu, wie es in einem Schreiben an die Reichsschrifttumskammer nachzulesen ist.

Ich belasse es bei diesen paar Gegenüberstellungen von Aussagen JMB vor der Spruchkammer und den Tatsachen.

Ich könnte sie seitenweise fortsetzen.

Dass er schließlich als Mitläufer eingestuft wurde, sagt wenig über seine Aktivitäten während der NS-Zeit aus.

Der Schriftsteller Niklas Frank, Sohn des in Nürnberg hingerichteten NS-Verbrechers Hans Frank, hat nach fünfjähriger Beschäftigung mit Entnazifizierungsakten geschrieben: „Die Entnazifizierung war ein Fehlschlag. Es wurde in großem Stil gelogen, verfälscht, verharmlost, um Verständnis und Mitleid gebettelt, um sich selbst und andere zu entlasten.“

Noch eine Bemerkung am Schluss: Ich habe mich mit dem Verhalten JMB während der NS-Zeit nicht zuletzt deswegen beschäftigt, weil mir vieles, was ich in Dorfen über ihn gehört und gelesen habe, unglaubwürdig erschien. Offensichtlich nur von dem Interesse geleitet, den Autor in gutem Licht erscheinen zu lassen, bis hin zu der grotesken Behauptung, JMB sei ständig mit der Einlieferung in ein KZ bedroht gewesen. Ich würde mich sehr darüber freuen, wenn endlich Tatsachen über die Haltung JMB während der NS-Zeit zur Kenntnis genommen würden, auch wenn das schmerzlich sein mag. Und nicht weiter seine Rechtfertigungen vor der Spruchkammer verbreitet würden. Dann ließe sich sachlich über Leben und Werk des Schriftstellers streiten.   

Vielleicht mag sich die eine oder der andere näher mit Josef Martin Bauer befassen. Mein Text über ihn steht seit ein paar Tagen auf der Homepage der Geschichtswerkstatt Dorfen (https://geschichtswerkstatt-dorfen.de/78-ueberzeugungstaeter-oder-mitlaeufer-josef-martin-bauers-rolle-im-dritten-reich-eine-neubewertung)  Dort ist auch die von Frau Simmerl beschriebene Episode über Bauers Konflikt mit den Nazis  - vom März 1933 -  ausführlich dokumentiert.

Schorsch Wiesmaier

Oberdorfen